Dörfler.IngenieurBüro
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Beruf und Ethik

Der Beruf des Bauingenieurs...

Während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am „Institut für Technologie und Management im Baubetrieb“ der Universität Karlsruhe wurde ich vom Institutsleiter Professor Fritz Gehbauer mit der Aufgabe betraut, ein Informationsheft über das Berufsbild des Bauingenieurs zu erstellen . Das Heft sollte dazu beitragen, interessierten jungen Menschen die vielfältigen Tätigkeitsgebiete des Bauingenieurs näherzubringen und somit auch als Hilfestellung bei der Studienwahl dienen. In der Tat beinhaltet der Begriff „Bauingenieur“ eine dermaßen große Vielfalt an beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten, dass eine umfassendere Erläuterung hilfreich ist. Und gerade diese Vielfalt ist es, was diesen Beruf so spannend macht und niemals langweilig werden lässt. In den Vorbemerkungen des genannten Informationsheftes haben wir seinerzeit Folgendes zusammengefasst:

Um den Begriff „Bauingenieur“ wenigstens annähernd definieren zu können müssen wir uns erst einmal von der im Deutschen gebräuchlichen Berufsbezeichnung lösen. Natürlich beschreibt das Wort „Bauingenieur“ zunächst einmal jemanden, der baut. Aber bauen wäre widersinnig ohne

  • Berücksichtigung der Menschen, für die gebaut wird
  • Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse
  • Beachtung der Umwelt, in der das Bauwerk stehen und eingebunden werden soll
  • Rücksicht auf die Nutzbarkeit des Gebäudes
  • Achtung ästhetischer Merkmale.

Es wird nicht um des Bauwerks Willen gebaut, sondern es wird für die Menschen und zunehmend auch für die Natur gebaut. Das Resultat ist das Bauwerk, aber der Weg dorthin ist gekennzeichnet von einer Vielzahl von Randbedingungen und Überlegungen, die alle in die Planung, den Entwurf, die Tragwerksberechnungen und schließlich in den Bau mit einfließen müssen und die oftmals nur indirekt mit dem Bauen zu tun haben. Zum Beispiel sind dies

  • soziologische Aspekte
  • ökologische Aspekte
  • wirtschaftliche Aspekte
  • kulturelle Aspekte

die vom Bauingenieur beachtet werden müssen und für die er somit das nötige Verständnis aufbringen muss.

Landläufig ist der Bauingenieur bei uns „der Statiker“. Dies trifft jedoch nur einen Teilbereich des Berufsfeldes. Natürlich gibt es Bauingenieure, die im Bereich Statik tätig sind, aber wenn man nach einer genaueren Begriffsbestimmung für den Bauingenieur sucht, könnte man sich an die treffendere englische Bezeichnung „Civil Engineer“ halten. Sie beschreibt viel besser sein Tätigkeitsfeld. Wörtlich übersetzt heißt das „Zivilingenieur“ oder „Ingenieur für die Allgemeinheit“. Und wirklich ist der Bauingenieur in der Ausübung seines breiten Berufsfeldes für die „civitas“, die Allgemeinheit, tätig. Diese Tätigkeiten beruhen auf einer Wechselbeziehung zwischen dem Bauingenieur und der Gesellschaft. Die Gesellschaft stellt Anforderungen, gibt Lebensbereiche vor und beeinflusst durch Anregungen und Kritik. Der Bauingenieur plant und baut aufgrund dessen für die Gesellschaft und trägt somit zu deren Entwicklung in

  • Lebensqualität
  • Lebensstil
  • Umweltbewusstsein
  • Umgangsformen

bei. Dabei sind die Bereiche, in denen sich der Bauingenieur beruflich betätigt unter Anderem

  • Siedlungswesen, Versorgung mit Wohnraum
  • Energieversorgung
  • Verkehrswesen, Verkehrsinfrastruktur
  • Wasserversorgung und -entsorgung
  • Nachrichtentechnik
  • Sicherheitstechnik
  • Umwelttechnik

…und die ethische Verantwortung

Aus dem beschriebenen Berufsbild ergibt sich zwangsläufig nicht nur eine selbstverständliche fachbezogene Verantwortung, sondern in großem Maße auch eine ethische Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass bereits während meiner Studienzeit Ende der 70er Jahre der Leiter des damals noch als „Maschinenwesen im Baubetrieb“ titulierten Instituts an der Uni Karlsruhe, Professor Günter Kühn, im Rahmen der Institutsveröffentlichungen ein Heft mit dem Titel „Ethik und Management“ auflegte. Angesichts der aktuellen Banken- und Wirtschaftskrise war man damals offensichtlich seiner Zeit weit voraus.

„Niemand baut für sich alleine“, so schrieb Professor Norbert Vogt, Leiter des „Lehrstuhls für Grundbau, Bodenmechanik, Felsmechanik und Tunnelbau“ der Universität München in einem Editorial der Fachzeitschrift „Bauingenieur“ . Professor Vogt geht in seinem Artikel auf eine der größten menschengemachten Katastrophen unserer Zeit im Bereich des Bauwesens ein, Die Tragödie vom Vajont, die sich 1963 in einem engen Tal in den norditalienischen Alpen, weniger als 100 km von Venedig entfernt, abspielte:

Geplant war eine 200 m hohe Staumauer im Vajont-Tal, um einen Stausee mit 50 Mio m³ Fassungsvermögen zu schaffen. Das geologische Gutachten zum Projekt war in Bezug auf die Standsicherheit der steilen Talhänge wenig aussagekräftig. Die Genehmigung des Projektes wurde ohne größere öffentliche Diskussion von einem nicht beschlussfähigen Gremium ausgesprochen. Die erste Planung wurde erweitert, die Staumauer sollte jetzt 260 m hoch werden, das Seevolumen 250 Mio m³ betragen. Der geologische Gutachter machte deutlich, dass er sich bei der Beurteilung der Erweiterung überfordert fühlte. Dennoch unterzeichnete er eine positive Stellungnahme, die weitgehend vom Projektentwickler diktiert worden war.

Auch das erweiterte Projekt wurde genehmigt – mit dem Bau war zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen worden – allerdings wurden ergänzende geologische Untersuchungen gefordert. Nach ihrer Durchführung zog der neue Gutachter den Schluss, dass eine große Gefahr von Bergrutschen besteht. Der bereits weit fortgeschrittene Bau wurde aber nicht gestoppt, vielmehr holte man weitere Gutachten mit günstigeren Aussagen ein und bagatellisierte eindeutige Hinweise auf Rutschschollen. Eine funktionierende Bauaufsicht bestand nicht. Vielmehr wurde das zuständige staatliche Kontrollorgan nur einseitig informiert und zu gutem Essen eingeladen.

Vajont-Staumauer von Longarone aus gesehen Vajont-Staumauer von Longarone aus gesehen.

Nachdem die Hinweise auf Rutschungen nicht mehr zu leugnen waren, ließ die Projektgesellschaft eine Modelluntersuchung durchführen, wie sich eine Großrutschung auswirken würde. Das Modell war nur eingeschränkt tauglich. Man kam aber zum Schluss, dass die obersten 30 m im Staubecken nicht gefüllt werden dürfen, um Platz für eine Flutwelle zu belassen. Bei einer Probefüllung trat bei weniger als der halben Füllhöhe eine große Rutschung von 700.000 m³ Gestein auf, weitere drohende große Rutschungen waren erkennbar. Man baute daher einen Bypass-Stollen, der es ermöglichen sollte, dass auch nach einer Großrutschung, die den See zum Teil verschütten würde, der Stausee kontrolliert befüllt und entleert werden konnte.

Bei weiteren Probebefüllungen zeigten Seismometer an, dass das Gestein an den Bergflanken in der Tiefe zerreißt. Die Rutschbewegungen nahmen überproportional zu. Trotz aller Indikatoren für die Gefahr wurden die Probebefüllungen fortgesetzt, sogar über die o.g. reduzierte Füllhöhe hinaus, da man die offizielle und uneingeschränkte Abnahme der Anlage erreichen wollte.

Am 9.10.1963 lösten sich 260 Mio m³ Gestein und stürzten schlagartig in den vollen See. Eine gewaltige Flutwelle schwappte über die Staumauer, die dabei nicht zerstört wurde. Die Flut löschte unterhalb des Stausees die Stadt Longarone und weitere kleine Ortschaften aus.

Abrisskante am Berghang
Der katastrophale Bergsturz mit 260 Mio m³ Gestein. Gut zu erkennen die Abrisskante am Berghang. Die Schutthalde ist inzwischen mit Bäumen bewachsen.

Longarone am Tag danach
Longarone, am Tag danach.

Großer Ehrgeiz, Inkompetenz, mangelnde Kontrolle, fehlende Transparenz (die verschiedenen Gutachter wurden voneinander abgeschottet), verhinderte öffentliche Diskussion sowie das unbeirrbare Festhalten an einem Projekt – wohl zur Vermeidung eines wirtschaftlichen Desasters – führten trotz Ankündigungen zur Katastrophe.


Lassen wir Bauingenieure es nie zu so etwas kommen, auch nicht im Kleinen. Wir bauen niemals für uns oder nur für unsere Bauherrschaft alleine. Werden wir unserer Verantwortung der Gesellschaft gegenüber gerecht.


Anmerkung: Für Interessierte sind neben vielen anderen folgende Internetquellen zu empfehlen: